Das Borromäische geheimnis
Ein demütiger Versuch
um das Entdecken der Kontemplation
DIE TIEFEN DER BORROMÄISCHEN „KIRCHE“
A.
Was ist das „Geheimnis“?
Es handelst sich um eine Wirklichkeit, die anders aussieht, als sie wirklich ist; oder um die Wirklichkeit, die anders ist, als sie erscheint. (z.B. die Sakramente, die Kirche, die Gnade…)
Geheimnis ist zu glauben (es ist das Objekt des Glaubens). Also muss man es entdecken und suchen.
- Die Existenz, das Leben eines Christen, ist im Werden, es ist ein Geheimnis.
- Die Existenz der geistlichen Wege und der Gemeinschaft ist (wahrscheinlich) auch ein Geheimnis, und zwar allgemein, aber auch spezifisch und im eigenen Sinne.
Wir suchen das eigene Geheimnis und auch das einzigartige oder sehr prägnante Geheimnis unserer borromäischen Gemeinschaft („Kirche“).
B.
„Am Anfang war das Wort“ (Joh 1,1). Alles, was ist, ist von Ewigkeit her (ist von Ewigkeit) gegeben:
- im Ewigen Gedanken, im Wort, und zwar nicht nur existenziell und allgemein als „alles“ und als „was auch immer“, sondern auch als solches und dies. In ihm ist jedes Wesen gegeben und vorbestimmt (vgl. 1 Kor 12,7-30; Eph 4,7.11-13).
Oder:
„Am Anfang war das Wort“ (Joh 1,1). In ihm ist vom Anfang an alles gewusst, bestimmt und gegeben. Im Ewigen Verstand ist schon gegeben, das er das Wort zeugt, und das Wort liebt den Verstand unendlich im Heiligen Geist. So ist gegeben, dass das Wort aus der Liebe zum Vater (dem Verstand), aus sich heraus sich selbst und die Menschheit schafft, so dass Gott (der Vater) in ihm (der Menschheit) geliebt wird. Damit diese Liebe unendlich ist, wird das Wort selbst zum Menschen in der Einigkeit der Person – durch die Inkarnation. In der Inkarnation ist die Menschheit sowie jeder Mensch gegeben. In der Inkarnation ist der Wurzel und die Bestimmung jedes Menschen, sowie sein Ort im ganzen Heilsplan, gegeben.
Die unendliche Liebe hat das Ewige Wort durch die absolute Hingabe an Vater verwirklicht. Sie opfert sich bis ans K r e u z, damit sie in eigener Person die Menschheit im Akt der absoluten und höchsten Selbsthingabe aus Liebe an den Vater bringe. Durch Christi Auferstehung tritt das Ewige Wort in die Ehre des Vaters, und zugleich bleibt es auch unter den Menschen als Grund und Wurzel des ganzen Heils (im heiligsten Sakrament der Eucharistie und aus ihm heraus) in der Kirche, welche dadurch sein wirklicher Leib wird. In diesem Leib wird jeder Erlöste zum Glied dieses Leibes. Jedes dieses Glied hat im Christi Leib, also in der Kirche, von Ewigkeit seinen festen Platz.
In diesem Leib wählt er sich und vorbestimmt von Ewigkeit her seine Glieder (vgl. 1 Kor 12,27-31), damit sie, und er in ihnen, das nachvollziehen, was noch, „zur Fülle der Christi Leiden fehlt“ (vgl. Kol 1,24).
Die einen lehrt er, dass sie ihre Wurzel als Märtyrer oder Apostel in ihm haben, die anderen wieder als die für andere seine leidenden Glieder geopferten, (die barmherzigen Schwestern des hl. Karl Borromäus), und wieder anderen für die Anbetung und das Gebet, noch anderen dann als Erzieher und Lehrer. Dies sind die verschiedenen Wurzeln im Leib Christi, welche schon von Ewigkeit in ihm gegeben sind. Jeder von ihnen hat also ihren Platz und Wurzel in dem Ewigen Verstand und im Christi Leib.
Hier fängt auch das borromäische Geheimnis an. Es wurzelt an dem Ort des Christi Leibes, wo auch in ihm der Leid, die Armut und das Kreuz ist, denn die Borromäerin ist gerade zu den leidenden Gliedern des Christi Leibes berufen.
Deswegen wird zu einer tiefen Wurzel und zum Anfang des borromäischen Geheimnisses DER BARMHERZIGE, ARME, LEIDENDE UND GEKREUZIGTE JESUS-ERLÖSER. Dies ist das Wesen dieses Geheimnisses. Dies gibt der Borromäerin (bei ihrer Einweihung) existenziellen Charakter ihres Heils, es bildet in ihrer Seele eine ganz einzigartige Beziehung und Fülle heran.
Weiter bestimmt das Wesen dieses Geheimnisses, ihrer Seele eingeprägt, auch den Geist und das Ideal ihres geistlichen Lebens und ihrer Sendung: zu ihrem Ideal ist also nicht das ausgesprochen kontemplative Leben oder erzieherische Tätigkeit, es ist weder das Studium, noch das Apostolat, sondern die Idee und der Geist entsprießt den Wurzeln des Kreuzes: es ist also die Liebe, Barmherzigkeit, Selbsthingabe, Selbstlosigkeit, Geduld, Demut, und zwar bis zu der Höhe des Mitgekreuzigtseins und des Lebensopfers. Die Verwurzelung in dem gekreuzigten Heiland bestimmt die Gestalt und Form der Gesinnung einer Borromäerin, ihr Urteilen und ihre Beziehung zu ihrer ganzen Gegend und zur jeglichen Gegend allgemein. Zum Kern all dieser Sachen wird das vollkommene Selbstentsagen.
Von diesem Wesen und Geist des Geheimnisses erwächst dann unentbehrlich die Tätigkeit der Borromäerinnen. Wieder sagen wir: nicht die studierende, organisatorische, kathechetische, erzieherische, sondern die barmherzige Tätigkeit an den Gliedern des Christi Leibes, die die Barmherzigkeit gebrauchen. Diese Tätigkeit hat aber eine ganze Breite. Zu diesen leidenden Gliedern des Christi Leibes, die das große Erbarmen und sogar persönliches Gekreuzigtsein brauchen, sind auch die geistig leidenden in den Schulen, Anstalten und Heimen. Diese Tätigkeit wird dann zum typischen Zeugnis (und dadurch auch zum Apostolat einer Borromäerin).
Aber werden wir uns bewusst: „All dies ist hier nicht vom selbst oder nur durch Beispiel, Befehl oder Berufspflicht“. All dies hat ihre organische Wurzel durchs Kreuz und die Inkarnation bis in die Tiefen der Ewigkeit.
Dort beginnt und hier fängt an (im Geist und in der Tat), gipfelt und wird erfüllt das eigentliche borromäische Geheimnis. In diesem wesentlichen Zusammenhang von der Tätigkeit bis in die Ewigkeit im Ewigen Wort steckt gerade das geheimnisvolle, was man nur durch Glauben weiß und glaubt, obwohl es äußerlich kaum merkbar ist. So ist also das innere Kern, die Mitte des Wesens, des Geistes einer Borromäerin, dies ist ihr Wesen, ihr Ideal, ihr Bild und Typus, dies ist ihr Charisma.
C.
Dieses Geheimnis ist nicht bloße Idee, sondern es ist eine geheimnisvolle, aber doch wirkliche geistliche Existenz, Sein. Wie wird dieses Sein, diese Wirklichkeit geboren?
Durch den Akt der Einweihung in den heiligen Gelübden (die Konsekration) entsteht für die Eingeweihte die Pflicht, diese konkrete Konsekration nach ihrem spezifischen und eigenen Charakter einzuhalten und nachvollziehen. Damit die Schwester sie leben und erfüllen kann, braucht sie dazu die notwendigen Gnaden, denn „ohne mich könnt ihr gar nichts tun“. (vgl. Joh 15,5). Diese Gnade ist versteckt (genauso wie bei jedem Getauften) nach dem Charakter der Taufe: durch den Akt der Einweihung wird ganz spezifisch diese notwendige Gnade erweckt, vitalisiert und aktiviert, denn jeder, der ein ganz konkretes Bedürfnis oder Verpflichtung im Bezug zum Heil nach der Ökonomie der Gnade hat, der wird auch diese Gnade empfangen.
Bei der Borromäerin ist dies gerade die Gnade der barmherzigen Liebe. Diese Gnade entfaltet sich also unerhört in der Seele durch den Profess, bis sie den ganzen Raum der Seele erfüllt, die diesen besonderen Charakter der barmherzigen Liebe des Barmherzigen Erlösers hat. Und dies gerade ist in der Seele die Wirklichkeit des borromäischen Geheimnisses.
Mit solcher Frömmigkeit und mit solchem theologischen Bewusstsein soll die Schwester in der absoluten Hingabe ihre Lebensgegebenheit tun, welche dem Ewigen Wort entspringt und dieses Ewige Wort in Herrn Jesus hier und in der Ewigkeit erreichen soll. Dieses „Geheimnis“ bedeutet den inneren, realen (nicht nur logischen) Zusammenhang.
Unter den gegebenen Charismen (der Einweihung, dem Kreuz, der Barmherzigkeit, der Taufe), so wie jedes in dem vorgegangenem enthalten ist, und von den jedes notwendigerweise in das nächste (Charisma) mundet, anders gesagt, jedes Charisma bildet und ruft das nächste hervor, so das alle diese einzelnen Charismen in diesem Zusammenhang nur das eine einzige volle borromäische Charisma bilden.
DIE HEILIGE NAZARETHANISCHE FAMILIE
Die borromäische Spiritualität formt weiter das Ideal der Heiligen Familie. Das „Borromäische Geheimnis“ ist eine theologische Wirklichkeit. Die kann (und in den Orden und Kongregationen auch wirklich hat) auch gegebene historische Elemente haben. Die sind auch so eine Gegebenheit.
Die Heilige Nazaretanische Familie, falls wir überhaupt ihre Lebensweise ahnen und falls wir ihre göttliche und gottmenschliche Natur ahnen können, ist für die Borromäerin und für die ganze Kongregation das Ideal des innerlichen Lebens, als ganzes, sowie auf jedem konkreten Ort. Also: es geht um die Einheit, herzliche Liebe, Zuversicht, Milde, Geborgenheit, Bescheidenheit, dauernde Kontemplation nach dem Vorbild der Heiligen Familie, in welcher der Sohn Gottes anwesend ist. Die Heilige Familie ist die Kernermunterung unserer Kontemplation, welche dadurch auch zu einer spezifischen Eigenschaft wird, welche mit dem Geist unserer Kongregation atmet.
DER HEILIGE KARL BORROMÄUS (1538 – 1584)
Durch die unbestrittene Gottes Fügung ist der hl. Karl Borromäus auch innerlich, also in der Ordnung der Gnade, charismatisch (nicht nur historisch und institutionell) mit der Kongregation verbunden, obwohl zwischen der Zeit seines Lebens und dem Entstand der Kongregation lange 68 Jahre liegen, doch ist diese Verbindung nicht ohne Gottes Vorsehung zum Stande gekommen.
So nahm di Kongregation in dieser Vorsehung den hl. Karl im Namen seiner barmherzigen Liebe, welche er zum Gipfel seines Lebens als Krone seiner Heiligkeit trug, als dem geliebten Vater und das Ideal der Barmherzigkeit an. In dieser seiner Barmherzigkeit sehen wir auch den Zusammenhang mit dem borromäischen Geheimnis des barmherzigen Erlösers.
Diesen geistlichen Blick können, und sogar müssen, wir also in eine einzige borromäische Spiritualität verbinden:
ihr Kern und Wesen ist das borromäische Geheimnis,
ihre innere Gemeinschaft ist die heilige Familie,
ihr Fürsprecher und Vorbild ist der hl. Karl Borromäus.
All dies zu Christi Ehren. Amen.